Straight-Wire, Segmentbogen oder Aligner – eine biomechanische Gegenüberstellung

Die Straight-Wire-Apparatur ist – berechtigterweise – das am häufigsten klinisch angewandte kieferorthopädische Tool zur Ausformung des Zahnbogens und Korrektur von einfachen und komplexeren Einzelzahnfehlstellungen. Der sog. „Kraftvielpunktangriff“ am Bracket ermöglicht eine suffiziente Kraft-Drehmomentapplikation in allen drei Dimensionen (3D). Daher sind innerhalb eines von der Knochenmorphologie und der Weichteilfunktion vorgegebenen Korridors beliebige 3D-Translationen und –Kippungen von Einzelzähnen und Zahngruppen möglich. Dies ist ein klarer Vorteil gegenüber Alignern, bei welchen entsprechend eigener experimenteller Studien – auch bei Verwendung von Attachments – die übertragenen Drehmomente für körperliche bzw. Torquebewegungen zu gering sind. 

Ein klinisch relevantes Problem der Straight-Wire-Technik besteht in den limitierten Möglichkeiten für die quantitative Kraft- und Drehmomentkontrolle am einzelnen Zahn. Hieraus resultiert ein Risiko der mechanischen Überlastung der Zähne mit einer entsprechenden Erhöhung des Risikos für irreversible Wurzelresorptionen. Des Weiteren sind mit der Straight-Wire-Apparatur mitunter auch die Möglichkeiten hinsichtlich der Korrektur von Fehlstellungen des Frontzahnsegments eingeschränkt. Beispielsweise ist die Tiefbisskorrektur häufig in Verbindung mit einer unbeabsichtigten Änderung der Okklusionsebene infolge Extrusion der Eckzähne verbunden, und die Frontretraktion mit einer suboptimalen Frontzahninklination nach Lückenschluss. Auch der Faktor „Friktion“ und somit die Verankerung ist bei ausschließlicher Verwendung von geraden Bögen nicht immer einfach zu kontrollieren. Derartige Probleme sind mit segmentierten Behandlungstechniken geringer bzw. sogar vermeidbar und effizienter zu beheben. 

In diesem Vortrag werden die biomechanischen Besonderheiten der Straight-Wire-Apparatur, verschiedener Segmentbogentechniken sowie von Alignern aufgezeigt und durch eigene experimentelle Daten untermauert. Zudem werden Design- und Anwendungsrichtlinien für diese Apparaturen postuliert, mit dem Ziel einer effizienteren orthodontischen Zahnbewegung mit möglichst geringen Nebenwirkungen – unabhängig davon welche Apparatur klinisch eingesetzt wird. 

Prof. Dr. Bernd Lapatki

Curriculum Vitae Bernd Lapatki

Bernd Lapatki erlangte im Dezember 1994 an der Universität Freiburg das Staatsexamen im Fach Zahnmedizin. Anschließend erfolgten eine allgemeinzahnärztliche Assistenzzeit sowie die Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Kieferorthopädie am Universitätsklinikum Freiburg. In 1998 promovierte er zum Dr. med. dent. mit einer experimentelle Studien zur dentalen Belastung beim Blasinstrumentenspiel, welche von der Universität Freiburg als beste Dissertation im Bereich Medizin/Medizintechnik mit dem LEG-Förderpreis prämiert wurde. In 2007 schloss er seine Habilitation über die Pathogenese und Behandlungsstabilität des Deckbisses ab. Initiiert durch einen einjährigen Forschungsaufenthalt in den Niederlanden folgte in 2010 ein Ph.D. im Fach Neurophysiologie an der Universiteit Nijmegen (NL) mit einer Arbeit zur Charakterisierung der Gesichtsmuskulatur auf Ebene der motorischen Einheiten. Seine Studien auf diesem Gebiet wurden in 2004 von der Arbeitsgemeinschaft für Funktionsdiagnostik und –therapie (AGFDT) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) mit dem Alex-Motsch-Preis ausgezeichnet. Zudem wurde Bernd Lapatki in 2007 für seine Forschungen auf dem Gebiet von Brackets mit integrierter Kraft-Drehmomentsensorik der Arnold-Biber-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) verliehen.

Seit Oktober 2009 ist Bernd Lapatki als W3-Professor für Kieferorthopädie und Ärztlicher Direktor der Klinik für Kieferorthopädie und Orthodontie an der Universität Ulm tätig. Im Januar 2013 erfolgte die Ernennung zum Geschäftsführenden Direktor des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde am Universitätsklinikum Ulm. Im Dezember 2014 erhielt Bernd Lapatki von der Vrije Universiteit Amsterdam (NL) einen Ruf auf die Professur für Kieferorthopädie am Akademischen Zentrum für Zahnheilkunde Amsterdam (ACTA). Seine klinischen Hauptschwerpunkte liegen insbesondere in der Anwendung von segmentierten und/oder skelettal verankerten Behandlungsmechaniken sowie der Alignertherapie.